Ein Brief:
Es ist 01.05 Uhr. Der Tag war, nennen wir es ereignisreich. Er besaß Hochs und Tiefs. Ich kann nicht schlafen und schweife ab. Für mich allein. Denn heute geht es mir nicht gut. Deshalb reise ich.
Wenn die Realität zu entgleiten scheint, rette ich mich in meine Gedanken. Manchmal flüchten sie auch in mich und ich verschwinde darin. Sie erfassen mich in einem Tempo, dem ich nicht mehr standhalten kann. Fliegen die Gedanken, begleite ich sie, denn sie sind ein Teil von mir. Ich weise sie nicht ab und versuche auch keinen Landeplatz für sie zu finden. Ich begleite sie in meine Vorstellungen und baue Gedankenburgen.
Teile ich meinen Gedanken etwas mit, kann ich mir bewusst sein, dass sie auch hören, was ich meine.
Ich behandle sie wie Pflanzen. Ich versuche Dinge groß zu ziehen, die da auch wachsen sollen. Ich kann mir natürlich vieles aussuchen. Dazu zählen auch Frust, Einsamkeit, Neid, Besorgnis oder auch Trauer.
Egal wie oft solche Gefühle an meine Gedankenburg klopfen, um da anzuwachsen, es ist meine Entscheidung, wem ich Einlass gewähre! Natürlich überlegt man oft, ob ich dem Besucher die Gastfreundschaft verwehre. Manchmal lockt er mit Geschenken, aber nicht jedes Geschenk benötigt man auch wirklich.
Es ist nicht immer leicht, so etwas nicht gedeihen zu lassen. Ich gebe mir Mühe, positiven Dingen beim Wachsen zuzusehen. Ich bin der Gärtner und Besitzer meiner Burg und Seele, denn die Realität ist manchmal brutal genug.
Und dann gibt diese Gedankenbesucher, die so viel wichtiger sind, als andere Dinge auf dieser Welt. Sie bringen einem wieder Geschenke, die unheimlich wichtig und besonders sind.
Man denkt zum Beispiel gern an die Geburten der Kinder. Egal wie oft ich Fotos von diesen wundervollen Momenten sehe, nichts zaubert mir mehr Lachfalten in mein alterndes Gesicht, als die Emotion der Erinnerung. Der Herzschlag, die erste Bewegung, der Schrei nach der Entbindung.
Das Gefühl, wenn man sein Kind das erste mal küsst oder das Glück und Leid, mit ihm den Schmerz des ersten Liebeskummers zu teilen.
Also lehne deinen Kopf zurück und reise in eine ferne Welt. Wenn es dir nicht gut geht, hast du immer noch eine Wahl. Fliege davon, baue dir ein Gedankenhaus und treffe dich dort mit Menschen, die du liebst oder jenen, die dich zu diesem wunderbaren Menschen gemacht haben, der du jetzt bist und lasse ungebetene Gäste draußen.
Gib deinen Gedanken Flügel.
Deine Frau
